Industriestrompreis - Ziele, Chancen und Herausforderungen

Einleitung

Der geplante Industriestrompreis soll ein wesentlicher Baustein der industriellen Transformation in Deutschland werden. Er soll jene Unternehmen entlasten, die besonders viel Energie verbrauchen und im internationalen Wettbewerb unter Druck stehen. Gleichzeitig stehen diese Branchen vor der Aufgabe, ihre Produktionsprozesse von fossilen Brennstoffen auf klimaneutrale Alternativen umzustellen. Die dafür nötigen Technologien – Elektroöfen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Elektrolyseure oder strombasierte Synthesen – sind jedoch deutlich stromintensiver und damit teurer als heutige Verfahren.

Entlastung: Gründe für einen Industriestrompreis

Damit die Industrie diese Transformation vollziehen kann und in einem internationalen Umfeld wettbewerbsfähig bleibt, braucht sie nicht nur erneuerbaren Strom, sondern vor allem Verlässlichkeit und bezahlbare Preise. Genau hier soll laut Politik der Industriestrompreis ansetzen.

Politische Einordnung: Start ab 2026 – aber ohne finalen Gesetzestext

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche kündigte an, der Industriestrompreis solle bereits zum 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die notwendigen EU-Verhandlungen seien „in den letzten Zügen“. Dennoch liegt der finale Gesetzestext noch nicht vor. Klar ist aber: Der Industriestrompreis soll den Strombezug für einen Teil des Verbrauchs besonders energieintensiver Unternehmen auf etwa fünf Cent pro Kilowattstunde reduzieren – deutlich unter den aktuellen Marktpreisen von bis zu 18 Cent.

Die Zielgruppe: Wer profitiert vom Industriestrompreis

Der Kreis der förderfähigen Unternehmen ist eng definiert. Anspruch haben ausschließlich Betriebe aus Branchen, die sowohl einen außergewöhnlich hohen Strombedarf als auch ein nachweisbares Risiko einer Produktionsverlagerung ins Ausland aufweisen. Dazu zählen insbesondere Unternehmen aus der Stahl-, Chemie-, Keramik-, Glas- und Papierindustrie. Die Auswahl orientiert sich an den europäischen Beihilferegeln und der KUEBLL- bzw. Carbon-Leakage-Liste der EU, die exakt definiert, welche Wirtschaftszweige als besonders energieintensiv und international wettbewerbsgefährdet gelten.

Zusätzlich müssen Unternehmen einen jährlichen Stromverbrauch von mindestens 1 Gigawattstunde nachweisen, um überhaupt antragsberechtigt zu sein. Insgesamt sollen laut Politik in Deutschland rund 2.000 Industrieunternehmen diese Kriterien erfüllen. Wichtig zu wissen ist, dass Betriebe, die bereits eine Strompreiskompensation erhalten, vom Industriestrompreis ausgeschlossen sind. Damit soll eine doppelte Förderung verhindert werden, die nach EU-Beihilferecht wahrscheinlich unzulässig wäre.

Industriestrompreis: Chance oder Belastung?

Der Industriestrompreis ist politisch wie wissenschaftlich umstritten. Während Großindustrie und Gewerkschaften ihn als überlebenswichtig betrachten, sehen mittelständische Verbände und das Handwerk die Subvention kritisch – auch, weil viele stromintensive, aber nicht förderfähige Betriebe wie Bäckereien, Rechenzentren oder Kühlhäuser leer ausgehen. Zudem ist die Maßnahme bis spätestens 2028 befristet, was Unternehmen vor strategische Entscheidungen stellt: Lohnt sich der Ausbau von Eigenstrom, sollten Investitionen vorgezogen werden und wie geht man mit politischen Unsicherheiten um?

Gleichzeitig stellt die konkrete Ausgestaltung des Industriestrompreises den Mittelstand vor erhebliche praktische Hürden. Während große Industriekonzerne über spezialisierte Energieabteilungen verfügen, fehlen mittelständischen Betrieben häufig die Ressourcen, um die geforderten detaillierten Energiedaten, technischen Nachweise und langfristigen Dokumentationspflichten zu erfüllen. Das Instrument soll zwar entlasten, könnte aber gerade jene stärker belasten, die im internationalen Wettbewerb am empfindlichsten reagieren. Hinzu kommt die Verpflichtung, mindestens 50 % der Entlastung in Effizienzsteigerungen, erneuerbare Energien oder CO₂-arme Technologien  investieren zu müssen.

Finanzielle Auswirkungen: Ein Rechenbeispiel

Ein Beispiel verdeutlicht die finanziellen Effekte: Ein Unternehmen mit einem Stromverbrauch von 20 Gigawattstunden pro Jahr und einem Marktpreis von 18 Cent pro Kilowattstunde würde für die förderfähigen zehn Gigawattstunden – also die Hälfte des Verbrauchs – eine Entlastung von 13 Cent pro Kilowattstunde erzielen. Das entspricht einer Einsparung von rund 1,30 Millionen Euro jährlich, wobei wiederum davon 0,65 Millionen Euro zu investieren wären. Viele energieintensive Industrien sehen darin eine Chance zum Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit.

Auswirkung für den Mittelstand: Chance oder neue Ungleichheit

Der Industriestrompreis wirkt selektiv: Er stabilisiert zum Teil die energieintensive Industrie, lässt aber große Teile des Mittelstands unberührt. Zwar profitieren viele produzierende Unternehmen ab 2026 von der bereits beschlossenen Stromsteuersenkung, doch der Industriestrompreis erreicht nur ausgewählte Sektoren. Dadurch entsteht eine deutliche Differenzierung zwischen den Branchen, die zu einer neuen „Strompreis-Klassengesellschaft“ führen könnte.

Ein Ausblick: Wendepunkt für den Industriestandort Deutschland?

Ob der Industriestrompreis langfristig seine Ziele erreicht, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes und der damit verbundenen Wirksamkeit der geforderten Transformationsinvestitionen ab. Für viele Unternehmen der Grundstoffindustrie kann er ein zentraler Baustein sein, um die Produktion in Deutschland halten zu können. Andere Branchen müssen leider weiter wirtschaftlich die erhöhten Kosten der Energiewende voll tragen. Insgesamt positiv zu werten ist, dass die Entscheidung für den Industriestrompreis ein erster wichtiger Schritt zu einer industriefreundlicheren Politik gegenüber den Vorjahren darstellt. Ob weitere Schritte folgen bzw. wie nachhaltig diese Unterstützung zukünftig ausfällt, bleibt erst einmal weiterhin unklar. Somit sind langfristige Investitionsentscheidungen mit hoher politischer Unsicherheit bzgl. der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen behaftet.